Felix von Neeve im Flutwelle-Interview mit Fiona Mählmann
credits: Pauline Bonnke
Die Stuttgarter Indieband Neeve veröffentlichte am 23. September ihr Debütalbum "chaos of my mind". Ihr Erstlingswerk besteht aus poppigen upbeat Melodien und Texten, die Mental Health Probleme thematisieren und sich gegen toxische Männlichkeit aussprechen. Dabei schreiben sie, recht ungewöhnlich für eine deutsche Indiepopband, ihre Texte auf Englisch.
Im vergangenen Monat hat unsere Autorin Fiona mit dem Frontman Felix gesprochen - über Schubladendenken, über selbstorganisiertes Marketing auf Social Media und Vergleiche mit den großen Namen in der Musikindustrie.
Hi Felix! Schön, dass du Zeit für das Interview gefunden hast. Es steht ja gerade richtig viel an bei dir und den anderen Jungs…
Felix: Stimmt, es ist ganz schön viel los. Das ist mega schön, dass endlich so viel passiert, aber es ist natürlich auch ein ganz schöner Stressfaktor. Aber alles cool. Wir haben jetzt in den Niederlanden mit The Howl & The Hum gespielt und dann die Woche drauf gleich die Supportshows mit The Snuts. Die gehen auf Europatour und wir dürfen die bei 6 Terminen, dreimal Deutschland und auch Paris, Antwerpen und in Mailand supporten. Das wird richtig groß. Wir haben vorher noch nie außerhalb von Deutschland, bis auf Österreich, gespielt. Das ist mega schön und ich bin richtig happy und freue mich extrem drauf. Aber das alles zur Album-Zeit ist ganz schön viel. Wie du weißt, machen wir das Meiste an Aktivität über Social Media und das nimmt ja schon relativ viel Zeit und Raum ein. Man will ja auch nicht, dass das Album zu kurz kommt neben dem Touren, deshalb ich bin mal gespannt. Aber wir kriegen das irgendwie gemeistert.
Schaffst du das noch, ein bisschen Ausgleich dazu zu finden, oder fühlt sich das alles bisher kaum nach Arbeit an?
Es ist auf jeden Fall Arbeit. Nur weil einem das meiste Spaß macht, ist es ja trotzdem relativ stressig und aufwändig. Das kennt ihr wahrscheinlich auch mit dem Blog und mit Artikel schreiben und so. Das ist auch vor allem, weil wir gerade an einem Schwellenpunkt sind, an dem das vom Zeitaufwand zu einem Fulltimejob geworden ist, weil man das alles richtig zu hundert Prozent machen will. Wir haben jetzt ein paar erste Festivals gespielt und die ersten Touren, aber, wie das halt so ist, verdient man da erstmal noch nicht so viel. Wir sind jetzt frisch mit einem Management zusammengekommen, aber wir machen trotzdem noch alles zum Großteil selbst. Wir sind ja Independent und haben kein Label. Dementsprechend versuchen wir alles auf uns vier abzuwälzen – so, jeder hat seinen Part. Aber man ist halt mit dem Kopf immer drin.
In ein paar anderen Interviews habt ihr erzählt, dass ihr einiges an Ablehnung von der Industrie erfahren musstet. Bei der Masse an guter Musik und anhand dessen, wie der Musikmarkt in Deutschland aufgebaut ist, ist das fast unvermeidlich. Wie habt ihr einen Weg gefunden, damit umzugehen?
Der schwierigste Part war dieser Zwischenzeitraum, als wir gesagt haben: wir machen das und machen das sehr ernst für uns, aber von außen kommt noch keine Bestätigung. Man hat einen riesigen Output und man macht viel Content. Man macht live Sessions und Musikvideos, die aufwändig sind und sehr viel Geld kosten. Dann kamen auch keine Konzerte durch Corona und am Anfang war es auch schwer, seine Leute zu finden. Und wenn man dann vom Radio und von Labels immer das gleiche gesagt bekommt, dann ist es auch schwierig das so durchzupushen. Jetzt aber langsam zu sehen, dass das alles Schwachsinn war, was die meisten gesagt haben und wir jetzt die Audience selbst gefunden haben, ist umso schöner.
Was war das denn in erster Linie, was ihr gesagt bekommen habt?
An erster Stelle natürlich das Deutsch-Ding, aber da will ich auch gar nicht so viel drauf herumreiten. Man mag, glaub ich, einfach in Deutschland, wenn man was klar in Schubladen packen kann. Wir sind halt keine richtige Indie-Band wie, zum Beispiel, Von Wegen Lisbeth. Und im Pop sehen wir uns halt auch nicht komplett. Wir sind schon eine Indie-Band, aber wir machen halt Popmusik. Ich habe allgemein das Gefühl, dass es in Deutschland schwer ist, sich in der Musikszene behaupten zu können. Da gehören ganz viele Aspekte dazu. Und man fragt sich dann: Warum wird man nicht so beachtet? Warum wird man nicht so aufgenommen in dieser Indie-Welt, die doch eigentlich so vielseitig und vielschichtig ist? Warum schweben wir da trotzdem noch so unter dem Radar? Wo ich doch das Gefühl habe, wir sind eigentlich schon von den Streams und der Reichweite auch international relativ gut aufgestellt. Aber in Deutschland tun wir uns trotzdem irgendwie schwer Fuß zu fassen. Es war ein langer, harter Weg, und ist es nach wie vor. Aber ich merke langsam, dass wir uns so ein bisschen an die Oberfläche boxen und manche uns jetzt auch wahrnehmen und für voll nehmen.
Ich habe das Gefühl, dass ihr konstant online seid. Auf Instagram sind Posts von vielen anderen Indie Bands oder musikbezogenen Memepages, denen ich folge, immer schon von eurem Account geliked. Das ist ja extrem viel Aufwand. Habt ihr da einen Redaktionsplan oder etwas Vergleichbares?
Also Instagram mach‘ komplett ich. Bei TikTok wechsle ich mich ein bisschen mit Marius ab. Wir sind jetzt dort, wo wir sind, weil wir grad dieses Social Media zu unserer Prio gemacht haben. Mit englischsprachigem Indie-Pop in Deutschland ist das ein bisschen zäh, muss man sagen. Und dann muss man einfach irgendwie gucken, wie man seine Audience findet. Das Schöne ist: es gibt eine Audience, denen ist es scheißegal, ob das deutsch- oder englischsprachig ist. Aber das ist leider in der Industrie und bei Radios und bei Magazinen - bei vielen nicht bei allen - doch einfach noch so ein Thema. Deutsch ist da gerade einfach so priorisiert. Wir sind, wie gesagt, keine richtig krasse Indie Band, weil wir doch sehr poppige Songs haben, aber wir sind auch keine klassischen Pop-Artists wie Nico Santos oder Zoe Wees, die auch aus Deutschland sind und erfolgreich englischsprachige Musik machen. Wir als Zwischending fallen halt etwas durch.
Aber über Social Media funktioniert das für euch ja super. Als ich in meinem Freundeskreis erzählt habe, dass ich ein Interview mit euch führen werde, meinten die meisten „Ach, die Band von TikTok?“. Euer Song „Where I Wanna Be Found“ hat, ohne dass er auf irgendwelchen Spotify Playlists gefeatured war, dort vor kurzem 1 Million Streams erreicht. Gratulation dazu an der Stelle. Offensichtlich läuft es auch sehr gut mit Englisch bei euch.
Genau. Deshalb versteh ich nicht, warum das Leute nicht kapieren. In unserem Alter wächst man in Deutschland ja eh schon fast bilingual auf. Wer kann denn hier von so 15 bis Mitte 20 kein Englisch mehr? Das ist halt voll blöd. Es sind dann trotzdem noch meist irgendwelche weiße alte Cis-Dudes in den Firmen, die entscheiden was Sache ist. Das ist, finde ich, überhaupt nicht realitätsnah. Die wissen nicht wie Content kreiert und konsumiert wird. Im Prinzip ist das, was wir machen, bloß ein Mittelfinger zu denen, die sagen, dass es nicht funktioniert. Warum soll ich mich nur auf ein Land beschränken? Natürlich ist es zum Touren einfacher alles in Deutschland zu machen. Aber warum soll ich mich mit meiner Musik nur auf ein Land beschränken, wenn ich die ganze Welt mit Englisch bespielen kann?
Social Media hat uns da den Arsch gerettet. Unsere ganzen Fortschritte, die wir in den letzten Monaten und Jahren gemacht haben, sind einfach durch TikTok. Deshalb finde ich es auch einfach dämlich, so eine Plattform abzuwerten. Natürlich, wenn ich die runterlade und ich guck da ‘ne halbe Stunde rein, dann kriege ich halt erstmal nen Föhn und denk mir: „Was geht da ab?“. So ging es mir auch, aber das Potential und die Möglichkeiten, die dahinterstecken, wenn man sich damit befasst, das ist schon echt krass.
Ich habe auch viel gute neue Musik über TikTok gefunden, aber das ist halt auch ein Prozess, bis man die Algorithmen auf sich angepasst hat. Nutzt ihr deshalb gerne wiederholt Schlagworte wie Harry Styles, Sam Fender, eine sommerliche Version von The Neighbourhood und The 1975 um eure Musik zu beschreiben?
Das grabt natürlich Attention, weil man weiß, dass Harry Styles grad überall ist. Klar ist das im ersten Moment dann catchy - auch dieses „summery version von The Neighborhood und The 1975“. Das sind schon Bandnamen mit denen wir uns ein bisschen assoziieren wollen. Die Zielgruppe, die Harry Styles, The Neighbourhood, Sam Fender, The Kooks und so gut finden, die werden, glaube ich, auch das Zeug von uns gut finden. Es ist halt schwierig innerhalb von 8 Sekunden, jemanden mit Argumenten zu überzeugen, die eigenständig und originell sind. Es muss sich auch gut lesen können. Im Prinzip betreiben wir nur Marketing und Marktforschung und gucken, was funktioniert und probieren es dann aus. Es gingen Sachen viral, also die liefen gut, in denen kam keine Sekunde von unserer eigenen Musik vor. Ich habe sie einfach nur beschrieben. Das ist richtig crazy, dass ich eigentlich in 30 Sekunden nur gesagt habe, für wen die Musik ist und die Leute haben sich das angeguckt. Irgendwelche Ami-bands haben dann auch selbst Catchphrases übernommen, die ich gesagt habe, wie: „I know for a fact that if you’re into these bands and you love sad melancholic vibes and screaming the lyrics at the top of your lungs, you’re going to like us.”
Das Schöne an TikTok für mich ist, dass man sich mit sich selbst beschäftigen und reflektieren muss: für wen mache ich eigentlich Musik und was sind unsere starken Merkmale? Was finden andere vielleicht gut an uns? Ich finde aber auch, es muss eine gute Mischung sein. Also, es muss natürlich eine Originalität da sein und das versuchen wir auch immer. Aber man muss auch wissen, wie die Plattform funktioniert. Und da haben wir ein gutes Mittelmaß gefunden. Ich will auch nicht immer die Sommerversion von The 1975 sein. Ich will Neeve sein. Und ich will, dass irgendjemand mal eine Catchphrase macht mit „klingt wie eine depressed Version of Neeve“. Dann wissen wir, wir haben eine eigene Marke erstellt. Und das ist, glaube ich, das, was jeder Artist auf kurz oder lang machen möchte.
Eure neueste Single „call me” ist einer der ruhigsten neuen Songs, die ihr bisher veröffentlicht habt. „When at 7.30 I’m pacing around“ ist ein Zitat, das die Atmosphäre des Songs sehr gut einfängt. Vielleicht möchtest du noch etwas zur Entstehungsgeschichte erzählen, und warum „call me“ als letzte Single vor dem Albumrelease ausgewählt wurde?
Wir hatten Ende 2021 schon geplant den rauszubringen, da hat sich das aber nochmal verschoben. In der Zwischenzeit sind jetzt die ganzen anderen Songs entstanden, aber „call me“ war jetzt am längsten schon fertig. Normalerweise passiert dann halt das Phänomen, wenn einen Song viel hört, dass man dann irgendwann selber die Passion und das Gefühl dafür verliert. Bei dem war das aber überhaupt nicht so. Der hat uns immer wieder, wenn wir den gehört haben, berührt und wir fanden den immer wieder schön und haben dann gesagt „OK. Der muss raus und er muss auch als Single raus.“ Das ist keine klassische Radiosingle, also nicht uplifting, schnell und happy. Die ist mehr in Richtung Holly Humberstone, melancholic und bisschen 80s-Synth. Das ist einfach so ein Vibe, der über 3 Minuten geht. Der ist zwar poppig geschrieben, aber hat eine ganz spezielle Struktur. Jeder Refrain klingt anders und der baut sich in sich so auf und das fanden wir super schön. Wir haben gedacht, der kann nicht einfach so auf dem Album liegen. Heutzutage, wenn Songs auf dem Album liegen, dann werden die meist bei unserer Größe kaum beachtet. Selbst bei großen Artists kriegen diese Songs selten Beachtung, wenn die nicht als Single vorher rauskommen. Und wir wollten halt auch mit den Singles verschiedene Facetten zeigen. Das ist einer der Songs, wo es nicht so direkt ums Mental Health Thema geht, wie bei den anderen. Und das fand ich auch schön, weil, ich mag einfach immer, wenn was Neues passiert und wenn Abwechslung da ist. Ich bin mega gespannt, wie er ankommt.
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