Als Provinz gerade richtig Anlauf nahmen und ihr Debüt-Album veröffentlichen wollten, kam eine dicke Pandemie und hat den vier Jungs einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Nicht ganz. Das hält die Musiker nämlich nicht davon auf, trotzdem weiterzumachen. Sie haben sich im letzten Jahr vom kleinen Geheimtipp zum absoluten Must-have in jeder Playlist gespielt. Kein Wunder, denn ihre Musik spricht jungen Erwachsenen ziemlich akkurat aus der Seele. Egal ob es um den dröhnenden Rausch, um ein zersplittertes Herz oder politische Wut gegen Rechts geht, die Band findet die richten Worte im richtigen Moment.
Ich durfte Provinz kurz vor ihrem Release der EP "Zu spät um umzudrehen" ein paar Fragen stellen. In dem Interview geht es um die Hintergründe und Inspirationen ihrer fünf neuen Songs. Ihr erfahrt, wie der Name der EP zustande kam und warum es endlich Zeit für einen politischen Song wurde.
Außerdem erfahrt ihr, warum ein Miley Cyrus-Provinz-Feature in Zukunft vielleicht nicht ganz unterwahrscheinlich ist. Ein Hit würde es alle mal werden.
Welcher Song beschreibt eure Stimmung gerade am besten?
Ich denke "Ich will dich Wiedersehen", da dieser von der Sehnsucht handelt, welche in der Pandemie entstanden ist. Und unsere Sehnsucht nach Live spielen und Leute treffen gerade alles übertrifft.
Warum ist es „Zu spät um umzudrehen“?
Das kam ein bisschen daher, dass letztes Jahr mit dem ersten Lockdown und den damit abgesagten Touren alles das erste Mal so wirklich stagnierte oder pausiert wurde. Und natürlich hat man sich mal dabei erwischt, wie man da das erste Mal über die Entscheidungen nachgedacht hat, die wir mit unserem Karriereplan so getroffen haben. Nicht dass wir jemals ernsthaft darüber nachgedacht hätten, mit der Musik aufzuhören. Aber es war für uns die absolute Bestätigung, dass wir zu viel investiert hatten und zu weit waren, um jetzt umzudrehen. Und somit war klar, dass wir das jetzt gemeinsam überstehen werden.
Stand der Name der EP von Anfang an fest oder hieß sie zeitweise auch mal anders?
Die Namensfindung ging eigentlich relativ fix. Wir waren im Sprinter unterwegs zu einem Picknickkonzert, als wir das erste Mal über den Namen der EP gesprochen hatten. Und da viel auch das erste Mal „Zu spät um umzudrehen“, den alle sofort gefühlt hatten. Da war die Entscheidung relativ schnell gefallen.
Wie würde ihr den Unterschied zwischen eurem Album „Wir bauten uns Amerika“
und der neuen EP „Zu spät um umzudrehen“ beschreiben? Bzw. Gibt es überhaupt
einen Unterschied?
Der große Unterschied ist der, dass die neue EP das spontane Produkt des letzten Jahres und der Pandemie ist. Das Album und alles Andere wird ja in einem groben Szenario geplant. Aber mit Corona hat ja niemand rechnen können. Und auch wenn dadurch 2020 ganz anders kam, als es geplant war, haben wir mit der EP zum einen für uns das beste draus machen können und zum Anderen die Zeit in Musik verarbeiten können. Und auch inhaltlich erzählt die EP von dem letzten Jahr und den Gefühlen und Emotionen und Geschichten aus einer für uns Alle sehr komischen und unkonventionellen Zeit und ist somit inhaltlich an diese Zeit gebunden.
Außerdem gibt es auch den ersten politischen Song auf der EP.
In euren Songs ging es immer wieder um den Konflikt zwischen der Großstadt und
der „Provinz“ - warum habt ihr euch jetzt doch gegen die Großstadt entschieden?
Es ist tatsächlich gar nicht so, dass wir uns gegen die Großstadt entschieden haben. Generell leben wir momentan eher zwischen den Extremen und wissen dadurch von beidem die Vorteile und Nachteile zu schätzen.
Der Song ist vielmehr aus einer spontanen Laune heraus entstanden, in der wir in dem Lockdown einfach sehr froh waren, zuhause in der Provinz zu sein. Da hatten wir die Möglichkeit, raus zu gehen und man hat sich nicht so sehr in den eigenen vier Wänden eingesperrt gefühlt.
In „Hymne gegen euch“ geht es darum, dass die junge Generation viel politischer
ist, als ihr zugetraut wird. Da ihr dieser Generation angehört, schätze ich, dass ihr
euch ebenfalls viel mit politischen Umständen auseinandersetzt. Wenn ihr eine
Sache an der Welt verändern könntet, was wäre das?
Da ist es natürlich schwer, sich auf eine Sache zu beschränken. Es gibt so viele Probleme, die uns aufregen. Sexismus, Rassismus, Querdenkervollidioten, Klimawandel usw.
Ich würde sagen, sehr aktuell ist der Klimawandel: Dieses Jahr ist Bundestagswahl und es ist klar, dass es sich um eine Klimawahl handeln muss. Viel mehr Wahlen bekommt man nicht mehr, um das Thema endlich nachhaltig und ernsthaft zu behandeln, ohne sich den Klimaschutz nur für das gute Image in das Wahlprogramm zu schreiben.
Ebenso ist gerade auch in der Musikbranche jetzt wieder das Problem des Sexismus und der Benachteiligung von weiblichen Künstlern aufgekocht, als die großen Festivals ihre LineUps für 2022 veröffentlicht haben und darauf kaum Künstlerinnen vorzufinden waren.
Eure Songs haben in der Vergangenheit immer viel mit Ekstase, Rausch und Feiern
zu tun gehabt. Letztes Jahr mussten wir alle in der Hinsicht zurückschrauben. Viele
junge Menschen sehnen sich momentan nach einer amtlichen Party. Warum glaubt
ihr, dass besonders der jungen Generation dieser Rausch so fehlt?
Naja, ich glaube in unserem Alter ist einfach das Feiern und mit Freunden treffen ein größerer Bestandteil des Alltags. Da fällt einfach der Großteil des sozialen Lebens weg. Außerdem fällt es noch viel schwerer, Zuhause eine Pandemie auszusitzen, wenn sich parallel 30 000 Querdenker zu einer Anti-Coronademo treffen.
Woher kam die Inspiration für den Song „Zimmer“? Sind da auch autobiografische
Elemente eurer Jugend im Song?
Ich glaube, viele Menschen haben das letzte Jahr überdurchschnittlich viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht. Und das ist erstmal super lästig. Aber es hat auch etwas Schönes, weil die eigenen vier Wände einem den eigenen Raum bieten, in dem man machen kann, was man will. Sicher kennt das jeder, dass man alleine Zuhause vor dem Spiegel viel freier tanzt und singt als in sonst. Und die Idee, dass man mittels der eigenen Kreativität aus dem Eingesperrtsein viel mehr machen kann, ausrasten kann, sich selbst feiern kann, war die Idee für „Zimmer“.
Es gab tatsächlich Freunde, die sich zum Beispiel spontan tätowiert haben oder die Haare gefärbt haben. Somit ist es zum Teil auch autobiografisch.
Der Song „22 Jahre“ fühlt sich wie ein sehr persönliches, aber auch verletzliches
Dankeschön an. In welchen Momenten seid ihr euren Müttern besonders dankbar?
Im Nachhinein gesehen ist es schon sehr erstaunlich und bewundernswert, wie viel Geduld unsere Mütter an den Tag gelegt haben, ohne durchzudrehen, obwohl man zum Beispiel als Teenie 24/7 damit beschäftigt ist, die eigene Mum in den Wahnsinn zu treiben. Es gibt so viele Kleinigkeiten, in denen man im Nachhinein seine eigene Mutter nur in den Arm nehmen kann, weil sie trotzdem immer für einen da ist. Und wo wir jetzt stehen, ist nicht zuletzt der Mama geschuldet.
Welcher Song der neuen EP liegt euch am meisten am Herzen? Und warum?
Ich glaube tatsächlich jeder auf seine Art, auch wenn es eine super langweilige Antwort ist. :) Aber der eine Song ist der Mama gewidmet, der andere besingt unsere Sehnsucht nach Wiedersehen, der nächste ist das erste politische Statement, Großstadt ist musikalisch gesehen die größte Weiterentwicklung und Zimmer fasst unser letztes Jahr zusammen. Und alle machen Live super viel Bock! Schwer da einen auszuwählen.
Mit eurem Album wart ihr nie richtig auf Tour, auf welchen Song freut ihr euch am
meisten live zu spielen?
Ich glaube, Live sind die Songs am besten, die alle zum Ausrasten bringen. Das könnte Zimmer sein. Genauso aber auch Hymne gegen euch, Großstadt, Was uns High macht oder Nur bei dir. Wir sind sehr gespannt, welcher Song alle am meisten zum Schwitzen bringt.
Welchen bereits existierenden Song hättet ihr gerne geschrieben?
Another Love von Tom Odell würde ich jetzt spontan sagen.
Bisher habt ihr noch kein Feature-Gast auf euren Songs. Nehmen wir an, ihr dürftet
euch einen weiblichen Feature-Gast aussuchen, wer würde es werden?
Dann würden wir wohl Miley Cyrus wählen.
Beschreibt zum Schluss doch mal, dass perfekte Setting, um eure neue EP
zu hören.
Mit Freunden, mit guter Laune, mit einer guten, lauten Box, mit eventuell auch etwas Alkohol und an einem Ort, wo man so laut sein kann, wie man möchte.
Dieses Setting beschreibt das Lebensgefühl von Provinz. Ein Ort, an dem man laut sein kann. Ein Ort, an dem man gehört wird. Ob das jetzt die Stadt oder das Land ist, bleibt offen. Warum auch festlegen. Welcher junge Mensch kann schon genau sagen, was er fühlt und was er will. Genau deshalb ist die Band so beliebt. Sie singen von diesem merkwürdigen Weg des Erwachsenwerdens in einem Jahr, indem der Stillstand so allgegenwärtig wie noch nie war. Dabei sind Provinz mal himmelhoch jauchzend, mal demütig und dann wieder ganz die Alten. Provinz sind das Sprachrohr einer Generation, die noch nicht so ganz weiß, wo hin es geht.
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