ein persönlicher Nachbericht von Jule Detlefsen
credits: Sebastian-Madej
Es war nicht der Sommer, den ich mir ausgemalt hatte. Es regnete seit Wochen und die Leichtigkeit des Sommers fühlt sich inmitten einer Quarter Life Crisis auch gar nicht mehr so leicht an. Doch mein wolkiges Gemüt und der Himmel sollte vom MS Dockville aufgelockert werden.
Das Hamburger Festival ist seit meines letzten Besuches ein geborgener Ort geworden. Mit wie vielen Menschen ich mich im Vorfeld verabredet hatte, konnte ich nicht mehr an meinen zwei Händen abzählen. Durch Netzprobleme und miserables Zeitmanagement meinerseits sah ich natürlich niemanden von diesen Verabredungen vor Ort. Aber auch ohne diese Begegnungen hatte ich genug zu tun. Wie jedes Jahr begeisterte mich das Dockville wieder mit einem Line-Up, das eine feine und balancierte Mischung aus Indie, HipHop und elektronischen Tönen präsentiert.
Beispielsweise hatte es Girl in Red nun endlich nach Hamburg geschafft. Die Norwegerin sollte schon nach wenigen Minuten meine neue Definition der absoluten Coolness werden. In Jeans und Oversized-Shirt lieferte sie eine Show ab, die mich ab Sekunde eins abholte. Mit breitem Grinsen bestaunte ich moshende junge Frauen und eine head-bangende Musikerin. Das MS Dockville hatte gerade im großen Stil bewiesen, dass das angebliche Argument - Frauen machen keine Rockmusik - für kein Festival mehr gelten darf.
Nach Blonds Albumrelease wartet ich schon sehnsüchtig auf den Moment aus vollster Seele die Texte über zu männliche Line-Ups, Toxic Guys oder Sims mitzusingen. Am Samstag war es dann soweit. Wer schon mal eine Blond-Show erlebt hat, weiß: Es wird abgerissen. Und wie abgerissen wurde und dabei schafft es die Chemnitzer Band immer wieder sozialkritische Themen und belastende Realität in herrlich wütende Moshpits und jede Menge Energie zu verwandeln. Als zum großen Finale dann noch der Himmel mitspielte und wahnsinnig nötigen Sommerregen über die schwitzende Körper versprühte, während ich aus vollster Kehle “Es regnet Männer” in das Gesicht meiner Freundinnen schrie, blieb kein schwerer Gedanke an meine Quarter Life Crisis und so sollte es auch fast das ganze Wochenende bleiben.
Aber eben nur fast das ganze Wochenende. Am Sonntagabend schlich sie die Melancholie langsam wieder in mich zurück. Ein frisch gebrochenes Herz erschwerte meine Gefühlslage enorm. Die letzten 2 Auftritte auf meiner Dockville-Bucketlist waren die von Paula Hartmann und Olivia Dean. Keine leichte Kost für angebrochene Herzen, doch vielleicht genau das Richtige.
Den emotionalen Wert, den ihr Debüt-Album für mich hat, ist nur mit wenigen anderen Alben zu vergleichen. Keine Musik der letzten Jahre kam so nah an mich ran wie die von Paula Hartmann. Und obwohl die Wunden verheilt waren, mit denen ich bei der Veröffentlichung vor knapp 1,5 Jahren noch übersät war, brennen die Songs immer noch wie Hochprozentiges in ihnen.
Als die ersten Takte von Paula Hartmanns Truman Show Boot - die sich in den letzten 2 Jahren in mein Hirn und überall anders eingebrannt hatten - durch die Boxen vibrierten, brachen ohne viel Widerstand alle Dämme in mir. Wieder ist es dieser eine Song, der mich so stetig begleitet, wieder ist es dieses verlorene Gefühl, welches mit so konsumiert, nur mein eigenes Märchen hat sich geändert. Und obwohl alles anders ist, fühlt es sich im Bauch so schaurig schön vertraut an.
Genau ging es weiter für mich. Der Name Olivia Dean fiel das Wochenende öfter in meinem Bekanntenkreis. Eine Musikerin aus UK, die in Deutschland noch ein wenig unter dem Radar schwebt, doch von allen Entdecker:innen unfassbar gehypt wird. Ihr vor kurzem veröffentlichtes Album “Messy” ist quasi die allumfassende Definition einer Quarter Life Crisis. Von Liebeskummer über weibliche Freundschaften bis hin zu dem diffusen Gefühl gegenüber sich selbst. Mit einer schwebenden Leichtigkeit und verschmitzten Lächeln sang Olivia Dean in glänzender Abendsonne ihre Songs und brachte so die Crowd nicht nur aufgrund der Temperaturen zum Schmelzen.
Doch irgendwann musste auch ich “Ok love you bye” zum MS Dockville sagen und meinen Heimweg antreten. Ein weiteres Jahr, in dem ich so viel Wärme, Liebe und Energie mitnehme. Ein weiteres Jahr, in dem ich mich jetzt schon auf das Dockville 2024 freue. Wir sind auf jeden Fall dabei. Wir hoffen, ihr auch.
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