Lollapalooza Nachbericht von Fiona Mählmann
credits: Christian Hedel
Der schon fast verloren geglaubte Sommer kehrt Anfang September noch einmal mit voller Kraft zurück, als müsse er die verregneten Sommermonate ausgleichen. Mit über 30 Grad im Schatten und Sonne pur zieht es die Menge am Samstagmittag in den Berliner Olympiapark. Kaum bin ich eine Stunde vor Ort, geselle ich mich zu einigen anderen Festivalgänger:innen an die Nordseite des Stadions, von wo aus man den Blick auf den Betrieb des Sommerbades hat. Etwas sehnsüchtig blicke ich am Wochenende immer wieder hinunter zum Pool, während ich von Bühne zu Bühne laufe. Das Feld mit den Main Stages liegt den ganzen Tag in der prallen Sonne und am Sonntag ähnelt der vom verregneten Sommer grüne Rasen schon wieder Stroh. Die Perry Stage im Stadion wird schon am frühen Nachmittag des Samstages zum „Hexenkessel“ umbenannt.
credits: Christian Hedel
Ein Vorteil der Hitze: die Outfits des Publikums entsprechen genau dem, was man in der breiten Masse mit dem Wort „Festival“ verbindet. Ein Abschnitt des Lollapaloozageländes trägt den Titel „Fashionpalooza“, aber egal wo man ist und wo man hinschaut, man sieht eine fabelhaft gekleidete Person nach der anderen. Ein Nachteil der Temperaturen: man hat kaum Energie bei der Musik als Publikum wirklich mitzumachen. Da das Lollapalooza eher ein Tagesfestival ist, spielen die ersten Headliner an beiden Tagen bereits ab ca. 17:30 Uhr. Der Großteil der Artists tritt also genau in der heißen Mittags- und Nachmittagssonne auf. Das Lollapaloozapublikum ist daher doch an beiden Tagen überwiegend damit beschäftigt, immer wieder Schattenplätze zu suchen, statt ausgelassen vor den Bühnen zu tanzen. Und auch von den Bühnen herab hört man vom Team, wie von den Künstler:innen, immer wieder den Satz: „Wow, ist das heiß bei euch!“ Die Aufforderung von Maurice Ernst, Sänger der Band Bilderbuch, sticht dabei etwas aus der Masse heraus und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack: „Genießt das Wetter! Vielleicht werden wir uns in ein paar Jahren einen so kalten Sommer zurückwünschen, wie es dieser gerade ist.“
credits: Christian Hedel
Auf den Main Stages spielt an beiden Tagen eine Mischung aus einerseits noch etwas weniger im Mainstream angekommenen Artists wie Jesse Jo Stark als Opener am Samstag, Moonchild Sanelly, Ayliva und Lina. Andererseits teilen sich, mit den bereits genannten Bilderbuch sowie SDP auch etablierte deutschsprachige Künstler die Bühne mit Weltstars wie David Guetta, Jason Derulo, Mumford & Sons, Macklemore und Zara Larsson. Besonders Zara Larsson liefert eine atemberaubende Show mit ihrer hypnotisierenden Bühnenpräsenz, anspruchsvoller Choreographie und ihrer mitreißenden Stimme. Das Feld vor der Mainstage ist voll und die Zuschauer:innen sind überraschend animiert. Es wird getanzt, gejubelt und unaufgefordert fangen alle bei einem ihrer Songs an, ihre Arme im Takt mitzuschwenken. Sie muss kurz innehalten „This is so beautiful. I’m about to cry, sorry.” Die Paar Tränchen, die man auf den Bildschirmen sieht, sind aber absolut nicht zu hören. Sowohl für sie, als auch für Jason Derulo sind es die letzten Festivalauftritte des Sommers. Man vergisst leicht, wie viele Hits er und David Guetta in den 2010ern veröffentlicht haben. Dementsprechend textsicher ist das Publikum bei beiden Sets – man fühlt sich in seine jüngeren Jahre zurückversetzt. Und besonders bei Jason Derulos Set wird in dem kläglichen Versuch, mit seinen unglaublich guten Tänzerinnen mitzuhalten, sehr viel Booty geshaked.
credits: Fabian-Henning
Die Hitze sammelt sich im Stadion vor der Perry Stage. Wo normalerweise sonst beim Lollapalooza die Menge vor DJs stand und den ganzen Tag ununterbrochen gefeiert wurde, ist am Samstag ein buntes Potpourri auf der Bühne präsentiert. Bereits um 13:30 Uhr spielt hier Domiziana, direkt gefolgt von Ski Aggu. Die Uhrzeiten sind besonders für den 90s-Rave/Hyperpop Sound von Domiziana absolut undankbar. Die beiden Artists direkt nacheinander auf der gleichen Bühne stehen zu haben, ist aber genial. Während Domiziana spielt, sieht man die Massen die Treppen am Ostende der Arena herunterströmen. In der Menge ist es nach ihrem Set kaum auszuhalten. Von einem Schattenplatz auf den Sitzrängen hat man aber einen noch besseren Blick auf die feiernden Massen bei Ski Aggu. Das Lollapalooza ist berühmt-berüchtigt für sein verhaltenes Publikum, aber trotz der frühen Nachmittagshitze wird hier richtig Gas gegeben. Am Sonntag hört man immer wieder, dass Ski Aggu das Highlight des Samstags war.
credits: Nadja Aumueller
Die Perry Stage kehrt Samstag kurz zu seinen DJ-Wurzeln zurück, bis Alexander Marcus zu der Lolla-Prime-Time um 19:30 Uhr mit seiner skurrilen „Elektrolore“ auftritt. Musik zum Gehirnabschalten, wenn man die Fähigkeit gelernt hat, Sachen ironisch zu mögen – kein sonderlich anderes Grundkonzept als Ski Aggu. Besonders bei internationalen Festivalgänger:innen sieht man aber verwirrte Gesichtsausdrücke. Den Abschluss hier macht Alligatoah mit einem hoch theatralen, durchchoreografierten Set im Look eines Amazon-Paketzentrums. Laut den Zuschauer:innen war gute Stimmung, für mich hat es sich aber eher angefühlt, als hätte man eine Staffel extra 3 zu einem Musical gemacht.
Für Flutwelle ist das Lineup der kleinen Weingarten Stage natürlich wieder das Highlight. Präsentiert von Radio Fritz und Glamour spielen hier überwiegend deutsche Newcomerinnen* und weibliche* Rising Stars der deutschen Musikszene. Vor der Bühne ist relativ wenig Platz und viele Zuschauer:innen finden sich hier eher durch Zufall etwas verweilen, da viele Sitz- und Liegemöglichkeiten um die Bühne herum aufgebaut sind. Für Künstlerinnen wie Wa22ermann, futurebae , Jolle und Pantha zieht es einen aber doch direkt vor die Bühne. Im Vorjahr hatten hier unter anderem Becks, Power Plush, Dilla und Paula Hartmann gespielt. Man kann also mit Zuversicht sagen, dass die Weingartenstage des Lollapalooza ein wahrer Starmaker ist.
Bei den vielen vielen Möglichkeiten vergisst man leicht die Alternative Stage auf der Westseite des Stadions. Und auch hier spielen mit Liz, Anaïs und Aurora FLINTA* Artists verschiedenster Genres. Der Alternative-Indie Aspekt dieser Bühne wurde schon letztes Jahr unter anderem mit Schmyt, Nina Chuba und Badmómyzjay aufgegeben.
credits: Christian Hedel
Mein inzwischen weitestgehend in den Ruhestand versetztes K-Pop-Herz freut sich sehr über den Rapper und Produzenten B.I, der hier nach der Absage von Rina Sawayama gebucht wurde. Auf mehreren europäischen und nordamerikanischen Festivals waren dieses Jahr Artists aus der südkoreanischen Musikszene zu bewundern. K-Pop ist bei weitem nicht mehr als Nischenphänomen zu betrachten – und das geschulte Auge hat am Sonntag auch gesehen, wie viele Leute extra für B.I zum Lollapalooza gekommen sind. Anhand der beträchtlichen Masse, die er am Sonntagabend vor die Alternative Stage gebracht hat, mag ja vielleicht darüber nachgedacht werden, auch im nächsten Jahr die K-Pop Szene im Line-Up zu bedienen.
Das Lollapalooza Berlin ist schon immer eine wilde Mischung aus Musikrichtungen gewesen. Der etwas chaotische Aspekt der frühen Jahre ist seit dem Umzug des Festivals auf den Olympiapark hinter sich gelassen. Das Lineup ist fast paritätisch besetzt – der FLINTA* Anteil ist beim Lollapalooza so hoch wie bei kaum einem anderen großen deutschen Festival. Und auch die Annehmlichkeiten, die mit einem Festival in der Stadt verbunden sind, sind mit anderen Festivals nicht zu vergleichen. Aufgrund dessen, dass es aber ein Tagesfestival ist und man nicht vor Ort schläft, fehlt doch einiges an Festivalerlebnis. Es fehlt ein wenig das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Die Zusammenstellung an Künstler:innen ist so weit gefächert, dass sich musikalisch kein klares Profil ausmachen lässt. Für manche Artists sind die Bühnen noch zu groß, wieder andere spielen viel zu früh am Tag für ihre Reichweite. Das Interesse an Newcomer:innen ist nicht so gegeben, wie es bei anderen Festivals der Fall ist. Das Lollapalooza ist immer ein nettes Wochenende, aber würde das Lollapalooza Berlin etwas mehr Persönlichkeit für sich entwickeln, würden die Ticketverkäufe auch eventuell wieder die Zahlen aus der Vor-Corona-Zeit erreichen.
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