Konzertreview - JEREMIAS am 28.03.2022 in der Pumpe in Kiel
Da stand ich nun. Zwei Jahre nachdem das alles angefangen hatte. Wieder ein JEREMIAS Konzert. Das letzte ist ziemlich genau zwei Jahre und eine Pandemie her. Damals, als das Musik & Frieden in Berlin noch ein Ort für Konzerte war. Zwei Jahre später gibt es den Club nicht mehr. Doch nicht nur für das Musik & Frieden hatte sich das Dasein radikal in den letzten 24 Monaten geändert. Auch für mich.
Jetzt fand ich mich wieder vor der Bühne der Hannoveraner Band und sang, die gleichen Texten, fühlte die gleiche Freude und irgendwie war alles anders und doch so gleich. Erleichternd frei und bedrückend melancholisch zur selben Zeit.
Credits: Lucio Vignolo
Diesmal war das Konzert nicht in der Hauptstadt, sondern in Kiel. Ein Ort, der nur noch selten Besuch von mir bekommt und mir trotzdem so vertraut ist. Nichts hatte sich an diesem Ort verändert. Auf der Partymeile Kiels gab es immer noch die gleichen Diskotheken, die schon vor 5 Jahren lieber hätten schließen sollen und sogar die Leute sahen so aus, wie sie schon immer aussahen. Das diffuse Gefühl in mir wurde mit jeder Minute in meiner ehemaligen Fast-Heimat stärker. Kiel fühlte sich an wie eine unerwartete Begegnung mit dem Ex-Freund - vertraut, fremd, freudig und traurig zu gleich. Immer begleitet von dem hoffnungsvollen Gefühl, das es nicht mehr so ist, wie es einmal war.
Schön diffus, was alles vor uns liegt - Diffus, JEREMIAS
Das Konzert fand in der Pumpe in Kiel statt. Eine vergleichsweise kleine Venue, zumindest im Vergleich zum Huxleys in Berlin, in dem die Band einige Tage vorher spielte. Aber wir wissen ja alle je kleiner den Club desto besser das Konzert.
Die ersten Töne des Abends spielte Newcomerin BROCKHOFF. Es war der erste Live-Auftritt für die Hamburgerin und ihre Band. Dadurch war ihr zwar die Aufregung ins Gesicht geschrieben, aber das beeinträchtigte die Qualität ihres Auftrittes in keiner Weise. Mit klassischen Indie-Sound, einer gerissenen Saite und einem Coversong der Foo Fighters hatte BROCKHOFF schnell die Herzen des Publikums gewonnen. Wie so oft haben JEREMIAS hier wohl wieder eine Musikerin als Support-Act gewählt, deren musikalische Karriere von hier an noch steil bergauf geht.
Inmitten des Publikums musste ich immer wieder schmunzeln. Das Durchschnittsalter war irgendwo zwischen 17-20 Jahren. Das überwiegende Geschlecht eindeutig weiblich. Für einige war dies sicher das erste Konzert nach einer langen Zeit, für andere möglicher Weise das erste Konzert jemals. Aufgeregt fieberten die jungen Mädchen und Frauen dem Auftritt von JEREMIAS entgegen. Immer wieder erwischte ich mich dabei, mich wieder wie 17 zu fühlen - sein ganzes Taschengeld für Konzertkarten auszugeben, um dann besorgt auf die DB-App schauen, ob man den letzten Zug überhaupt noch kriegen würde und die pure Euphorie, die durch den Körper schallt, sobald der erste Ton durch die PA-Anlage ertönt.
Flutwelle-Autorin Fiona, die in Berlin auf dem JEREMIAS Konzert war, berichtete von einer grinsenden Crowd, die voller Spannung auf den Hauptact wartete und es kaum erwarten konnte, endlich wieder befreit zu tanzen.
Alles gibt sich von allein und zeigt sich doch so leicht, so leicht - Alles, JEREMIAS
In jeder Sekunde ihrer Live-Show meistern JEREMIAS gekonnt den schmalen Grat zwischen Authentizität und kunstvoller Inszenierung. Man spürt, wie viel Arbeit und Liebe zum Detail in der Konzeption ihrer Auftritte steckt. Doch auf der Bühne steht keine artsy Indie-Band aus Berlin, die sich selbst nicht mal versteht, sondern vier Jungs aus Hannover, die einfach Bock haben, gute Musik zu machen und das auch noch unheimlich gut können.
Auf charmante Art und Weise reißen sie das Publikum mit und lassen uns für 90 Minuten in die Welt der funky Discomusik eintauchen. Kein Körper der Pumpe konnte bei diesen Sounds ruhig stehen bleiben. Die ganze Crowd tanzte zu dem modernen Funk von JEREMIAS und sangen lautstark die Lyrics der Songs. In ihren Texten verliert sich die Band nicht in veralteten Deutschpop-Klischees, sondern in fesselnden Beobachtungen, Gefühlen und Sehnsüchten.
Wie in ihrer Musik haben JEREMIAS mit der Golden Hour Tour einen Aufbruch in eine hoffnungsvolle Zukunft markiert. Vielleicht gehört da heutzutage ein bisschen Größenwahnsinn dazu, aber vielleicht ist das alles auch einfach optimistischer Realismus. Getrieben von unaufhörlichen Tatendrang spiegelt die Musik von JEREMIAS den Zeitgeist einer Generation wider, die alles werden kann und will. Nichts bleibt unprobiert und hin und wieder zerbrechen wir an der überwältigen Auswahl an Möglichkeiten. Doch zum Durchschnaufen haben wir keine Zeit, die Welt soll ein Denkmal für uns bauen. Wir waren hier und das soll auch jeder wissen.
Und ich merke, dass es da was Großes gibt, alles Versager, ihr bleibt steh’n, Und ich geh den Schritt, Hab Angst, dass es mich nicht mehr gibt - Mio, JEREMIAS
Was immer wieder bei den Auftritten von JEREMIAS auffällt, ist das, sich nicht alles, wie der Bandname zunächst vermuten lässt, um den gleichnamigen Frontsänger dreht. Jedes Mitglied der Band bekommt seinen ganz eigenen Auftritt und steht für einen elementaren Teil der Band. Es wird die Musik im Ganzen gefeiert. Jonas an den Drums genauso sehr wie Ben am Bass und Oli an der E-Gitarre.
Auch ein paar neue Songs hatten die vier dabei. Einen klassischen Love-Song, ein Song inspiriert von der Figur Goldmund von Hermann Hesse und einer, was mir bis heute nicht aus dem Kopf geht und als hartnäckiger Bewohner meines Ohres bestehen bleibt. Der brandneue Song über die Nacherzählung einer Drogenerfahrung zog mich sofort in seinen Bann. Passend zum Thema wurden wirklich alle Sinne bei dieser Performance bespielt und mal fühlte sich fast ein bisschen so, als wäre man dabei gewesen, als all das passierte.
Credits: Lucio Vignolo
Die norddeutsch-zurückhaltende Crowd hatte sich während des Konzerts noch zu keinem größeren Moshpit getraut. Doch mit dem letzten Song vielen auch die letzten Hemmungen. Fröhlich sprang ich das erste Mal nach einer viel zu langen Zeit inmitten von rangelnden Menschen, hatte auf einmal fremde Hände in der Hand, auf meinen Schultern, an meinem Kopf und verdrückte vielleicht die ein oder andere Träne dabei. Denn es fühlte sich alles wieder ganz normal an. Und ganz normal fühlte sich in diesem Fall verdammt gut an.
„Den ganzen Schmerz war’s mir wert“ - Paris, Jeremias
Es war den ganzen Schmerz wirklich wert gewesen. Das endlose Warten hatte sich nun endlich gelohnt. Das Warten auf Konzerte und das Warten darauf, dass es nach diesem deprimierenden Winter endlich wieder ein bisschen besser wird. Die Musik von JEREMIAS ist gezeichnet von Hoffnung, Rastlosigkeit und einer jugendlichen Euphorie. Die Live-Shows stecken voller Energie, die ansteckt und dazu Inspiriert mal kurz alle Sorgen zu vergessen.
Alles war anders und trotzdem ungewöhnlich gut, eigentlich genau so wie vor 2 Jahren. Der Mosphit, die schwitzende Menge und die dröhnende Anlage zeigten mir, worauf wir uns in diesen wilden Zeiten immer wieder berufen können - auf gute Musik und besonders auf die von JEREMIAS.
Ich hoffe sehr, dass ich JEREMIAS noch auf vielen Festivals und auf den großen und kleinen Bühnen des Landes sehen darf. Zu wünschen wäre es den vier Bandmitgliedern, denn die gewaltige Arbeit, die in jeder ihrer Songs steckt, muss dringend belohnt werden.
am 14.04 geht es aber erst mal weiter in mit der Golden Hour Tour, diesmal in Köln. Wer sich noch Tickets ergattern kann, sollte dies schnellstmöglich tun. Ihr werdet es nicht bereuen.
Credits: Lucio Vignolo
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