Vor einiger Zeit durfte unsere Autorin Fiona den Musiker Blinker inmitten eines Taifuns interviewen. Blinker redet in dem Interview von seinem ersten Soloalbum, seinem Instagram-Feed, anhand seiner Mittwochs-Posts und das Puzzeln und Schreiben von Texten.
credits: Ben Wolf
Hi Blinker, erstmal herzlichen Glückwunsch zum Albumrelease. Ich finde es ist supergut geworden und würde gerne fürs Interview zuerst ein bisschen mit den Liedern vom Album anfangen, bevor wir etwas tiefer reingehen. - In „Dich“ singst du ja „Niemand fragt mich wie’s mir geht, ganz normal“ Also bin ich heute Niemand: Wie geht’s dir?
Danke erstmal. Ehm, mir geht’s gut. Ein Album rausbringen ist auf jeden Fall super crazy, ganz verrücktes Gefühl. Und ich glaub ich hab’s noch gar nicht so richtig begriffen. Ich bin ein bisschen stolz, ich bin sehr sehr krass dankbar, ich bin nach wie vor auch aufgeregt, dass das draußen ist und das zu zeigen, quasi, diesen Teil von sich, den man da auf das Album gebannt hat. Am Releasetag sind wir eskaliert. Am Tag danach hab’ ich dann nicht viel gemacht, außer selbstmitleidig im Bett gelegen.
Beim Auskatern hast du dir bestimmt irgendwelche Serien oder Podcasts reingezogen. In „True Love“ schreibst du ja auch über True Crime, beziehungsweise geht die Hook „True Love, True Crime“. Bist du Fan von True Crime Formaten? Und wenn ja, welche?
Ich bin absoluter Fan von True Crime Formaten. Wo ich es richtig krass gemerkt hab, so ok „shit is on fire”, war bei Making a Murderer. Spätestens seit dem bin ich hooked. Freunde von mir haben super lange den Zeit-Verbrechen-Podcast empfohlen. Da habe ich mich ganz ganz lange gewehrt, fand ihn dann aber auch sehr gut. Zurzeit, muss ich sagen, bin ich so‘n bisschen auf dem Trockenen, was geile True Crime Sachen angeht. Ich habe den Eindruck, man kann so ein True Crime schneller schauen, als es von den anderen quasi ähm verübt wird, deswegen fehlt natürlich irgendwann der Nachschub. Was jetzt kein Aufruf sein soll, natürlich. (lacht)
Ich bin großer Fan von deinen Mittwochs-Posts auf Instagram. „Mitte zwanzig“, „Kickboxen“ und „Rauchen“ vom neuen Album wirken etwas, als wären sie Mittwochs-Posts, die du zu Musik gemacht hast. Wie hast du überhaupt damit angefangen und was hat dich dazu inspiriert, die regelmäßig zu posten?
Ich liebe diese Mittwochs-Posts so sehr und mich freut das so hart, dass das anderen Leuten auch Stabilität und Halt in der Woche gibt. Ich sammele alle Songideen, die ich habe, in meiner Notiz-App. Das sind nicht nur Songideen - ich hab da halt alle möglichen Gedanken reingeschrieben, wo ich dachte: „vielleicht wird das ein Song.“ Irgendwann muss ich dann ehrlich zu mir sein und sagen: „Ok, das ist kein Song, aber das ist trotzdem ein ganz cooler Gedanke.“ Und dann habe ich angefangen, diese Gedanken halt rauszuhauen, wenn es entweder zu unemotional oder so zu punchline-ig war oder mir fällt irgendwie keine Melodie dazu ein. Jetzt schreibe ich einfach nur Gedanken auf. Und ich finde es total interessant, dass du sagst, dass diese Interludes auf dem Album ein bisschen was davon haben. An der Stelle kann man auch schon gespannt auf die Liveshows sein.
Wenn ich das Thema deines Albums betiteln müsste, wäre das: „Liebe und Hoffnung in Zeiten des Weltuntergangs“. Wäre das auch in etwa, wie du an die Songauswahl herangegangen bist?
„Liebe und Hoffnung in Zeiten des Weltuntergangs“ ist auf jeden Fall nicht falsch und ich find‘s total poetisch und sehr schön und vielleicht muss so das nächste Album heißen (lacht). Die letzten Jahre waren so verrückt. Sowohl in der Welt da draußen, als auch für mich privat und für uns alle zwischenmenschlich. In der Zeit ein Album gemacht zu haben, bildet sich dann auch irgendwie in der Musik ab. Es war so ein bisschen meine Hoffnung, dass dieses Album Leuten auch wieder so ein stückweit Stabilität gibt in dieser verrückten Zeit. Selbst wenn vielleicht nur ein, zwei Zeilen dabei sind, die mit den Leuten räsonieren, dann hat es sich schon gelohnt. Ähm ja, Liebe und Hoffnung in Zeiten des Weltuntergangs, geil.
Während der Vorbereitung zum Interview bin ich auch über einen Kommentar gestolpert, an den genauen Wortlaut kann ich mich nicht erinnern, aber es ging darum, dass deine Musik wie eine Therapiesitzung ist. Hat das Schreiben von Texten etwas Therapeutisches für dich?
Auf jeden Fall. Ich glaube, man muss ein gewisses Level an Selbstreflexion haben dafür. Das hat was auf jeden Fall was Verarbeitendes und was Therapeutisches. Was mich dann natürlich total flasht ist, wenn Leute mir schreiben und sagen, dass ihnen das was gibt und ihnen weiterhilft im Alltag oder auch durch ‘ne schwere Zeit. Das ist natürlich, das ist also…mir ist das wichtiger als jede Streamingzahl und jedes Airplay, solche Kommentare. Das ist für mich das, was für andere Leute Nutella auf ihrem Frühstücksbrot ist. Das bringt mich so krass raus morgens.
Da sind es, glaube ich, wirklich diese Nuancen in den Gedanken oder die Gefühle, die du irgendwie in Wörter fassen kannst, die andere oft nicht so formulieren können.
Ich habe neulich erst realisiert, dass sich Leute gegenseitig Songs schicken, weil die Songs Sachen besser sagen, als sie es selber sagen können. Und das ist total schön, dass man als Künstler:in für die Leute so ein Gefühlsdolmetscher ist. Leute können sich dann da mal anders öffnen mit dem Hilfsmittel Musik und natürlich ehrt das einen und das ist total schön (lacht). Ich hab irgendwie noch nie, oder vielleicht nur als Teenager Songs verschickt, um meine Gefühle auszudrücken. Aber eigentlich habe ich immer versucht zu sagen, was ich sagen will. Ich hatte selten den Eindruck, dass ein Song zu 100% vermittelt, was ich denke, eher im Gegenteil. Selbst wenn dann der Chorus zu 100% sagt, was ich gerade fühle und vielleicht auch, was ich der anderen Person sagen möchte, dann gibt’s so eine Zeile im Verse, die dann so gar nicht passt. Dann kann man den nicht mehr schicken und deswegen habe ich das relativ wenig gemacht. Wenn ich Leuten Songs schicke, ja dann meistens aus absoluter Begeisterung um zu sagen: „Schau mal her!“
credits: Marius Pigulla
Bei „Dich“, auf deinem Album ist es zum Beispiel so, dass die Strophen und der Refrain im Text auch sehr auseinandergehen. Dabei ist es auch Interpretationssache, ob das jetzt ein positiver Song oder ein negativer Song ist. Einerseits kann es schön sein, dass man nur an diese eine Person denkt oder eben situationsgebunden auch nicht schön.
Das ist so krass, dass du das sagst. Also, meine Lieblingsfarbe ist Schwarz. Ich bin melancholisch bis unter die Ohren. Für mich war so klar, dass das ein trauriger Song ist, so: „meine Ex ist noch da draußen in der Stadt“ irgendwie sowas. Und dann zeige ich den meinem Produzenten und Freunden von mir und alle haben nur die positive Bedeutung da drin gesehen. Ich weiß noch, als ich das am Anfang realisiert hab, dachte ich, ich hätte irgendwas falsch gemacht. Ein Song kann ja nicht beides gleichzeitig sein. Aber irgendwann habe ich meinen Frieden damit gemacht, und mag, dass man beides darin sehen kann.
Du sagst von dir, dass du ein sehr harmoniebedürftiger Mensch bist. In deinen Texten zeigt sich aber trotzdem auch Konfrontation, also mit Situationen und mit anderen Menschen natürlich auch mit dem Selbst. Haben sich Leute in deinem Umfeld schon mal in deinen Texten wiedererkannt?
Ja, 100% und wahrscheinlich hängt das auch miteinander zusammen, dass ich im „richtigen Leben“ sehr harmoniebedürftig bin und über so kleine Sachen dann Songs schreibe. Was ich auf jeden Fall nicht mache, das fänd‘ ich ganz ganz schlimm, ist, anstatt mit der Person zu reden, dann einen Song schreiben, den der Person vorzuspielen und dann zu meinen, das würde reichen, und man müsse jetzt nicht mehr darüber reden. Das fänd‘ ich so ganz unangenehm. Stell dir mal vor, dein Mitbewohner zeigt dir einfach nur einen Song und der Song heißt „Spülmaschine nicht ausgeräumt“ oder so. Aber man sieht natürlich oft mehr, als wirklich da ist. Wenn ich einen Song über das Vermissen schreibe, kann das ja schon drei Jahre her sein und nur dann erst durchgesickert. Es ist oft nicht so akut und aktuell, wie die Leute denken, weil ich meistens erst Songs über Sachen schreiben kann, wenn die schon abgeschlossen sind. Wenn ich mittendrin bin, in einem Kornfeld und gar nicht weiß, wo der Ausgang ist, und ich noch nicht weiß, wie die Geschichte endet, quasi, kann ich auch noch nicht anfangen, sie zu schreiben. Sonst wären alle Songs ja nur: „Ich bin grad mittendrin und weiß nicht wohin“. So kann ja nicht jeder Song auf einem Album sein. Deswegen, wenn ich drüber etwas singe, ist es meistens schon nicht mehr so schlimm.
Gab es in deinem Umfeld mal irgendwelche Reaktionen zu dienen Texten, die besonders rausgestochen sind für dich?
Leute versuchen immer rauszufinden, ob der Song über sie ist. Ich sag den Leuten dann immer: „Der Song ist das, was du da drin hörst.“ Ein Song erzählt dir auch ganz viel über dich. Also, die Leute denken ja immer, meine Songs würde so viel über mich erzählen, tun sie natürlich auch, aber er verrät dir ja ganz viel über dich und was dich grade rumtreibt. In der Schule liest man ja immer Gedichte und soll dann beantworten: „Was hat sich der Dichter, was hat sich die Dichterin - meistens sind es dann doch Dichter, die man dann irgendwie liest, leider – was haben die sich dabei Gedacht?“ Und niemand fragt: „Was hast du dir dabei gedacht, als du das Gedicht gelesen hast?“ Und das ist doch mindestens genauso wichtig. Genau, das ist der Ball, den ich zurzeit eigentlich immer so‘n bisschen an die Leute zurückspiele. Ist natürlich auch ein Ausweichen, aber ich halte es trotzdem für richtig.
nn
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